Ein Sportfest der Superlative


Gesäumter Wegesrand ... / Stelzl Allein im Kampf gegen die gnadenlos tickende Uhr - das Team von CCC / Ernst Lorenzi Der Startschuss zur Rad-Weltmeisterschaft 2018 fiel in der Area 47 / Ernst Lorenzi Achtung, fertig, los! Das Tirol Cycling Team eröffnete die Rad-Weltmeisterschaften mit der Startnummer eins im ersten Rennen / Bettini Photo Auf dem Weg von der Area 47 ins Ziel nach Innsbruck - ein hartes Rennen für die Athleten im Teamzeitfahren / Ernst Lorenzi QuickStep flott unterwegs auf dem Weg zur Goldmedaille / Bettini Photo Freudestrahlend nach dem Husarenritt zum WM-Titel von der Area 47 nach Innsbruck / Bettini Photo Beflügelt von der phantastischen Kulisse und begeisterten Anfeuerungsrufen - das Tirol Cycling Team in Zirl / APA Voll konzentriert unterwegs zu seinem starken 12. Platz im Zeitfahren der U-23-Kategorie - der Tiroler Patrick Gamper / Bettini Photo An der Absamer Basilika St. Michael vorbei - Jorgensen auf dem Weg zu WM-Bronze / Bettini Photo Zwei Dänen und ein Belgier am Podest - Brent van Moer (2.), Mikkel Berg und Landsmann Mathias Norgaard Jorgensen / Bettini Photo Drei strahlende Medaillengewinnerinnen - Camilla Alessio, Rozemarijn Ammerlaan und Elynor Backsted / Bettini Photo Der überragende Jungstar dieser Rad-WM - Belgiens Doppelweltmeister Remco Evenepoel / Bettini Photo Über 200 Millionen TV-ZuschauerInnen begeisterte die Grußbotschaft der Thaurer Bauern mit 60.000 Salatköpfen direkt an der WM-Strecke während der Weltmeisterschaft / TVB Wattens/Hall

Die Rad-Weltmeisterschaften 2018 in Innsbruck/Tirol sind Geschichte, mit einer Bilanz, die sich sehen lassen kann; mit Storys über eine Weltmeisterin aus Tirol, über eine hervorragende Organisation, einen Fan-Rekord dank Kaiserwetter und großes Lob der internationalen Radsportszene.

An die 600.000 Fans waren von dem von Tirol ausgehenden Radsportfieber angesteckt worden, durften im Verlauf der neun Tage hochklassige, spannende, phasenweise sehr dramatische, aber auch emotionale (Stigger, Valverde) Entscheidungen live miterleben.

Die Bilder – via TV, Social Media und Print –, die während dieser faszinierenden Weltmeisterschaft von Tirol aus in die Welt gesendet wurden, vermittelten sehr eindrucksvoll Szenen der Superlative und festigten Tirols Ruf als Sportland Nummer eins.

Sportsgeist, Fairness und Tiroler Gastlichkeit auf höchstem Niveau waren wie die täglich vom fast kitschig-blauen Himmel strahlende Sonne ständige Begleiter im WM-Tross, der sich abwechselnd von Kufstein, dem Ötztal, Wattens und Rattenberg durch ein Menschenspalier nach Innsbruck bewegte.

Es gab viele Höhepunkte, überraschende Sieger, phantastische Leistungen und den alles überstrahlenden Schlusstag mit dem buchstäblichen „Ritt durch die Höll“. Auf den folgenden Seiten rufen wir in diesem Tiroler Sportjahrbuch noch einmal – bildlich – die Tage mit Gänsehautfeeling in Erinnerung, skizzieren ganz kurz die Entscheidungen um Gold, Silber und Bronze.

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3000 Zuschauer beim Start zum Teamzeitfahren in der Ötztaler Area 47, rund 8000 beim Anstieg nach Axams, Massenaufläufe im Ziel in Innsbruck oder auch in Zirl – dort mutierte die verkehrsberuhigte Zone zur Hochgeschwindigkeitspassage für die Zeitfahrmaschinen. Insgesamt, schätzte die Polizei, waren beim Teamzeitfahren vom Ötztal nach Innsbruck 26.000 Zuschauer entlang der WM-Strecke.

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Für Sportler wie den Tiroler Radprofi Florian Gamper war der WM-Auftakt mit dem Tirol Cycling Team etwas Besonderes: „Toll, dass man so etwas erleben darf.“ Mit der sportlichen Entscheidung hatte das heimische Sextett indes wenig zu tun, das war zu erwarten gewesen. Aber als drittbestes von fünf rot-weiß-roten Teams und auf Platz 17 von 22 Mannschaften gab die Equipe ein achtbares Lebenszeichen von sich.

Die Goldmedaille ging doch etwas überraschend an das mit 68 Einzel-Saisonsiegen weitaus erfolgreichste Team, das Sextett der belgischen Quick-Step-Mannschaft.

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Das war keine große Überraschung – Mikkel Bjerg verteidigte im U-23-Zeitfahren erfolgreich seinen Titel. Der 19-jährige Däne distanzierte den Zweitplatzierten Belgier Brent van Moer um mehr als eine halbe Minute, sein Landsmann Mathias Norsgaard Jörgensen lag weitere fünf Sekunden zurück.

Die Österreicher? Da überzeugte der Tiroler Patrick Gamper als starker Zwölfter; sein Tiroler Landsmann Markus Wildauer, von dem sich auch die Fachwelt mehr erwartet hatte, rätselte am Ende über Rang 34.

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Das Zeitfahren der Herren – ein erster Höhepunkt der Titelkämpfe und am Ende ein rauschendes Radfest, für das Rohan Dennis verantwortlich zeichnete. Es waren zwar nicht die berühmten 21 Kehren nach Alpe d’Huez bei der Tour de France, ebenso wenig die Mauer von Huy (Wallonischer Pfeil), aber dennoch: Dieser knackige Anstieg von Fritzens hinauf nach Gnadenwald, diese gut 400 Höhenmeter mit bis zu 14 Prozent Steigung waren eine Art Scharfrichter, das hatte schon etwas von Kultpotenzial.

Das sahen auch die Fans so, die sich bei diesem Zeitfahren in Scharen entlang der Bergstraße eingefunden hatten, um die weltbesten Radsportler im Duell „Mann gegen Uhr“ zu verfolgen.

Während der Australier Rohan Dennis sein Gold feierte, musste Geheimfavorit Tom Dumoulin mit der Silbermedaille zufrieden sein. Die er mit einem Vorsprung von gerade einmal 53 Hundertstelsekunden auf den belgischen Europameister Victor Campenaerts ins Ziel retten konnte.

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Vor dem Straßenrennen der Juniorinnen hatte Laura Stigger noch tiefgestapelt, eine Favoritenrolle weit von sich gewiesen. Genützt hat es nicht viel – denn nach einem phantastischen Rennen krönte sich die 18-Jährige nur zwei Wochen nach der erfolgreichen WM-Titelverteidigung mit dem Mountainbike auch auf der Straße mit Gold! Sensationell.

„Ich wusste genau, wo ich angreifen wollte“, blickte die Haimingerin nach der Siegerehrung und zahlreichen (Freuden-)Tränen auf die entscheidenden Sekunden ihrer Goldfahrt zurück; speziell auf den letzten Anstieg Richtung Patsch. Dort, nach der Rechts-links-Kombination um den Traditionswirt „Wilder Mann“ , trat die Haimingerin in der folgenden Steigung so richtig in die Pedale.

Unwiderstehlich, eine Machtdemonstration, an der die Konkurrenz letztlich zerbrechen sollte, auch wenn da die dramatischen Sprintszenen vor dem Ziel noch kein Thema waren. Sie wusste, beraten von ihrem Trainer, dass ein Angriff just an dieser Steigung passieren musste – es folgte, worauf Coach Rupert Scheiber hingearbeitet hatte: eine Attacke, wie Stigger sie aus dem Mountainbike-Sport gewohnt ist. So wie zwei Wochen zuvor bei der Mountainbike-WM in Lenzerheide.

Ihre beiden Ausreißer-Kolleginnen wollten sich jedoch nicht abschütteln lassen, sie verfolgten auf den finalen Flach-Kilometern durch Innsbruck ebenfalls die Mission Gold.

„Ich wollte Kreisel fahren, aber das klappte nicht.“ Mit dieser Windschatten-Formation hätte man zumindest die Verfolger in Schach gehalten und die Medaillen im Trio verteilt. Und so kam schließlich ein Quartett in Zielnähe. Vom Blech-Platz aus attackierte Laura Stigger vor der Hofburg. Und gewann. Vergessen der Vortag, an dem sie noch eine Verkühlung zu verarbeiten hatte. Vergessen der schwierige Umstieg vom Mountainbike aufs Rennrad, der erst wenige Tage zuvor erfolgt war.

„Ich habe immer daran geglaubt. Und man muss daran glauben, um etwas zu erreichen“, war ihr Trainer Rupert Scheiber den Tränen nahe. Der Rennleiter des Ötztaler Radmarathons hatte alles unternommen, um seinem Schützling die Straße schmackhaft zu machen. „Wir haben am Anstieg nach Patsch selbst den Asphalt unter die Lupe genommen, um die Passagen mit dem geringsten Rollwiderstand herauszufiltern.“

Dass Stigger sich als Mountainbike-Weltmeisterin auch den Straßenrad-Titel holte, sorgte natürlich international für Aufsehen. Besondere Aufmerksamkeit war nach Stiggers Husarenritt auch dem Belgier Remco Evenepoel gewiss: Trotz eines Sturzes vor Gnadenwald hatte sich der Junioren-Zeitfahrweltmeister auch im Straßenrennen zum Titelträger gekürt. „Ich radle ja erst seit eineinhalb Jahren und muss noch viel lernen“, meinte der Ex-Kapitän der belgischen U17-Fußballauswahl. Was sich nach einer Entschuldigung anhört, klingt für die Konkurrenz wie eine Drohung …

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Eines der großartigen Feedbacks aus dem Fahrerlager: Junioren-Doppelweltmeister Remco Evenepoel aus Belgien etwa lobte die Fans in höchsten Tönen: „Innsbruck-Tirol wird immer einen Platz in meinem Herzen haben. Nicht nur wegen der zwei Titel, die ich hier gewinnen konnte, sondern vor allem auch wegen der sensationellen Stimmung während der Rennen. Die Fans waren einfach unglaublich.“

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Offiziell rund 120.000 Zuschauer wurden entlang der 156,2 Kilometer langen Strecke von Kufstein nach Innsbruck beim Straßenrennen der Damen gezählt. Eine Traum-Marke für die Veranstalter.

Sportlich gesehen hatte die sehr anspruchsvolle Strecke das Feld bereits früh geteilt. Mit Olympiasiegerin Anna van der Breggen gab es am Ende einen überlegenen Solosieg. Die Niederländerin gewann mit satten 3:42 Minuten vor Amanda Spratt (AUS). Italiens Bronzemedaillen-Gewinnerin Tatiana Guderzo (ITA) lag bereits 5:26 Minuten zurück.

„Ich habe nicht gewusst, wie weit die anderen hinten liegen, und bin bis ins Ziel voll gefahren“, sagte die 28-jährige van der Breggen, die sich auf den drei Runden auf dem Olympiakurs rund um Innsbruck absetzen konnte.

Damit gewannen die Niederländerinnen in Innsbruck drei der vier Damentitel. Nur die Haimingerin Laura Stigger durchbrach bei den Juniorinnen mit ihrem überraschenden WM-Triumph die Vormachtstellung der Oranje.

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In allen Bereichen der Veranstaltungsorganisation leisteten freiwillige Helfer einen wichtigen Beitrag zum Gelingen des Events. 1492 von ihnen waren während der Rad-WM im Einsatz – direkt im Renngeschehen als Streckenposten, bei Infoständen, in der Logistik, im Bereich Event-Operations oder beispielsweise auch im Pressezentrum.

UCI Präsident David Lappartient sprach von einem vollen Erfolg: „Besser hätten die Weltmeisterschaften in Innsbruck-Tirol nicht ablaufen können. Sportler, Trainer und Offizielle – sie alle waren begeistert von der ausgezeichneten Organisation und den perfekten Bedingungen auf und abseits der Rennstrecke.“ Verantwortlich für den reibungslosen Ablauf war die enge Zusammenarbeit zwischen Veranstalter, den Blaulichtorganisationen und den Behörden.

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Der Ausflug in die gefürchtete „Höll“ war für den umstrittenen Alejandro Valverde Gold wert. Nach einem brutalen Ausscheidungsrennen durfte der 38-Jährige seiner grenzenlosen Freude freien Lauf lassen. Nicht der chancenlose Titelverteidiger Peter Sagan oder ein anderer der hochgehandelten Favoriten, sondern der kaltschnäuzige und einst wegen Dopings gesperrte Spanier hatte nach knapp 260 knüppelharten Kilometern das Regenbogentrikot des Weltmeisters erobert.

„Für mich wurde ein Traum wahr, ich kann es noch gar nicht glauben. Dafür habe ich so lange gekämpft. Ich möchte meiner Mannschaft und dem gesamten Team ein großes Dankeschön aussprechen“, sagte Valverde nach dem Triumph in einem Rennen, in dem die Österreicher zwar einige Runden lang sehr aktiv das Geschehen bestimmt hatten, dann aber im Finish, als die Stars ernst machten, nicht mehr mitzuhalten vermochten.