„Sieh dich um; denke daran, dass auch du nur ein Mensch bist.“ Selbst im Augenblick des größten Triumphs wurde im alten Rom die Bodenständigkeit groß geschrieben. Der erfolgreiche Feldherr konnte zwar triumphierend durch die Straßen ziehen, nicht aber ohne die Anwesenheit eines Sklaven, der ihm die Worte immer wieder ins Ohr flüsterte.
Den süßen Geschmack des Triumphes kennen auch die Doppelsitzer Andreas und Wolfgang Linger zur Genüge. Doppel-Olympiasieger, Doppelweltmeister und auch im letzten Weltcuprennen in Sigulda leuchtete ihr Name von Platz eins. Eine tolle Bilanz, aber bei Weitem nicht genug Gründe, um die Bodenhaftung zu verlieren. „Das war bitter“, erinnert sich Wolfgang Linger in der Stunde des Erfolges an die Sportlerwahl (Mannschaft) des letzten Jahres. Trotz des wiederholten Olympiasieges reichte es bei der Wahl nicht für einen Platz unter den Top drei. „Es hat den Eindruck hinterlassen, dass Titel nicht gleich Titel ist.“ Die Wahl stand symbolisch für den römischen Sklaven. So römisch-dominant die Erfolge der Absamer auch sind, der Rodelsport ist noch weit weg von dem Status der Ski-Alpinen.
Und trotzdem hat es die beiden Brüder nicht davon abgehalten, auch heuer wieder ihren Job zu machen. In Cesana gab es das zweite WM-Gold, im Weltcup durften sie fünf Mal vom obersten Podest winken. Das Geheimnis des Erfolges? „Das darf ich leider nicht verraten“, meint Wolfgang augenzwinkernd. „Scherz beiseite. Ich glaube, wir sind viel ruhiger geworden.“ In der Ruhe liegt die Kraft. Aber auch im Alter. „Die Routine hat den Blick verschärft. Wir konzentrieren uns nur auf das Wesentliche“, kennt Andreas die Erfolgsformel. Die Unbekümmertheit vergangener Tage ist passé – mit den Erfolgen kam der Druck, aber auch die Routine, damit umzugehen.
Wolfgang: „Der Blickwinkel hat sich über die Jahre einfach verändert. Früher waren wir nervös, aber ohne Druck. Heute musst du Erfolg haben, weißt aber, wie das Siegen funktioniert.“ Und wenn sich doch die ungeliebte Nervosität einmal breit macht, dann denkt Jungpapa Wolfgang an seinen kleinen Sohn Raphael zu Hause. „So wird alles andere nebensächlich.“ Also Friede, Freude, Eierkuchen?
Nicht ganz. Denn noch fehlt ein Pokal in der Glasvitrine. Der Gesamtweltcup ging trotz fünf Saisonsiegen an das deutsche Duo Tobias Wendl und Tobias Arlt. „Zwei Ausrutscher in der Saison waren einfach zu viel. Das darf nicht passieren“, erklärt Wolfgang selbstkritisch. Besonders der letzte Platz in Winterberg wiegt schwer.
Dass das Tiroler Brüderpaar mit den fünf Siegen in einer Saison sogar die Tiroler Rodellegende Markus Prock (vier in einer Saison) überholt hat, ist ein schöner Nebeneffekt. „Das habe ich gerade beim Interview gehört“, zeigte sich Andreas überrascht und ließ wieder den römischen Sklaven sprechen: „Der Prock ist der Prock und seine Leistungen sind immer einzigartig. Deswegen sind wir sicher nicht besser.“