Es war ein denkwürdiger Tag im französischen Méribel gewesen. Dort, wo sich 1992 Petra Kronberger zur zweifachen Olympiasiegerin gekrönt hatte, holte 23 Jahre später Anna Fenninger ihre zweite große Kristallkugel ab. Es war ein emotionales Finale, die französischen Fahnen, die man verschenkt hatte, zitterten leicht in den Händen der Zuschauer. Journalisten im Zielraum hielten den Atem an, als Anna Fenninger, Österreichs Ski-Aushängeschild, an die Reihe kam, um den Schlusspunkt nach 148 Tagen Ski-Weltcup zu setzen. Und das nicht wie so oft bei einem Finale nur formhalber, sondern im entscheidenden Lauf der Damen-Saison. Eva-Maria Brem lag zu diesem Zeitpunkt vor Rivalin Tina Maze, die es zu schlagen galt. Fenningers Aufgabe: 18 Punkte in der Gesamtwertung aufholen – also in jedem Fall vor der Allrounderin landen. Gewinnen oder Platz zwei, nur nicht ausfallen.
Spannender hätte ein Weltcup-Finale nicht sein können. Und als Fenninger nicht nur souverän fuhr, sondern auch noch in derselben Manier ihren 14. Weltcup-Sieg holte, sprühten die Emotionen Funken. Die Salzburgerin fiel entkräftet in den französischen Schnee, weinte, jubelte und lachte zugleich. Die zweite große Kugel für den Gewinn des Gesamtwelt-Cups (nach 2013/14) war Realität geworden – 22 Zähler vor der 31-jährigen Maze, die wenige Meter daneben stand und mit geschlossenen Augen ihre bittere Niederlage verdaute, ehe sie Fenninger umarmte.
Zuvor hatte Österreichs Sportlerin des Jahres die Speed-Kugeln (Abfahrt, Super-G) an US-Star Lindsey Vonn abgeben müssen. Nun, im allerletzten Rennen, wo es darum ging, mit leeren oder vollen Händen in den Flieger zu steigen, schlug Fenningers Stunde. „So knapp wie die Entscheidung war, habe ich das noch nie erlebt. Ich konnte mich nach gewissen Rennen nicht freuen, weil ich wusste, dass das nächste Rennen wartet. Ich habe mir oft gesagt: ‚Ich weiß nicht, wie es weitergeht. Ich kann nicht mehr.‘ Jetzt ist es vorbei“, meinte Fenninger, die Brem als erste Gratulantin nach Maze in die Arme schloss und kurz darauf gemeinsam auf demselben Flug wie Herren-Sieger Marcel Hirscher insgesamt fünf Kristallkugeln mit ins Flugzeug nehmen durfte.